Arbeitsgruppe „Aufarbeitung und Recht“ im Forschungsschwerpunkt Medienrecht an der Viadrina Drucken

Die Diskussion um die Reichweite der Forschungsparagraphen 32 ff. Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einsichtnahme in die Kohl-Akten beim Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BStU) sowie die Fülle der vorwiegend datenschutzrechtlich beeinflußten Stellungnahmen in den Diskussionen um die Novellierung des StUG im II. Quartal 2002 belegen, daß die juristische Bewertung der publizistischen und historischen Aufarbeitung zeithistorisch wertvoller Unterlagen vorwiegend unter dem Blickwinkel des Persönlichkeitsschutzes erfolgte. Diese einseitige Bewertung verkennt die Bedeutung der publizistischen und historischen Aufarbeitung historischer Zusammenhänge gerade aus den zurückliegenden Epochen totalitärer Herrschaftssysteme in unserem Lande für die Herausbildung und Bewahrung eines freiheitlich-demokratisch orientierten staatsbürgerlichen Bewußtseins der Bevölkerung. Die einseitige weitgehend persönlichkeitsschutzrechtlich orientierte Bewertung der vorhandenen Regelungen zur Verwendung von zeithistorisch bedeutenden Aktenbeständen, insbesondere beim BStU, aber auch bei den Bundes- und Landesarchiven behindert und verhindert damit letztlich die publizistische und historische Aufarbeitung, da interessierte Wissenschaftler und Publizisten sich einfacher erschließbaren Themenfeldern statt Forschungsvorhaben mit aufgrund der vorhandenen Regelwerke ungewissem Ausgang zuwenden werden. Resultat des propagierten „Opferschutzes“ ist in Wirklichkeit mangels hinreichender Aufarbeitung der vorhandenen Unterlagen ein „Täterschutz“.

Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht über den Grundrechten der Presse- und Wissenschaftsfreiheit, sondern lediglich gleichberechtigt neben ihm. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung immer wieder betont, daß der Gesetzgeber im Falle konkurrierender Grundrechte gehalten ist, einen Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten in der Weise herbeizuführen, daß alle Grundrechte jeweils zur größtmöglichen Geltung gelangen. Den Begründungen des Gesetzgebers des StUG, des Bundesarchivgesetzes und der Landesarchivgesetze ist jeweils zu entnehmen, daß der Gesetzgeber dieses durch diese Gesetze gewährleisten wollte.

Es ist daher geboten, die vorhandenen rechtlichen Regelungen entgegen der bisherigen Tendenz entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem Willen des Gesetzgebers in der Weise auszulegen, daß bei angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte die Grundrechte der Presse- und Wissenschaftsfreiheit nicht unnötig eingeschränkt werden, und ggfls. entsprechende Änderungsvorschläge für die vorhandenen Gesetze zu erarbeiten. Um dieses zügig zu realisieren, wurde Anfang 2003 im Studien- und Forschungsschwerpunkt „Medienrecht“ die Arbeitsgruppe „Aufarbeitung und Recht“ gegründet. Die Arbeitsgruppe soll diesem Ziel dienende rechtswissenschaftliche sowie interdisziplinäre Untersuchungen anregen, unterstützen und auf Veranstaltungen unterschiedlichster Art zur Diskussion stellen (siehe hierzu unter anderem die medienrechtlichen Symposien im Januar 2006, Oktober 2006, März 2009, November 2012, September 2014 und September 2015 sowie diesbezüglich im Rahmen des Studien- und Forschungsschwerpunkt Medienrecht erschienene Veröffentlichungen).

Zur Mitwirkung in der Arbeitsgruppe sind insbesondere Juristen und juristisch interessierte Publizisten sowie Geisteswissenschaftler eingeladen, denen die Förderung aller Aspekte der Aufarbeitung bei angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes am Herzen liegt.

Nähere Informationen:

Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder

Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg
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Rechtsanwalt Prof. Dr. Johannes Weberling
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