Volker Hagemeister: Zeitungen haften für ihre Leser? – Die Verantwortlichkeit bei Leserbriefen Drucken

Rechtsreferendar Volker Hagemeister, Berlin:

Zeitungen haften für ihre Leser? – Die presserechtliche Verantwortlichkeit bei Leserbriefen

Von ihren Lesern distanzieren sich Printmedien fast immer: „Die Redaktion weist darauf hin, daß der Inhalt der Leserbriefe die Ansicht der Einsender wiedergibt, die mit der Meinung der Redaktion oder des Verlages nicht unbedingt übereinstimmt.“ So oder ähnlich lauten zumeist die Formulierungen auf den Leserbriefseiten von Zeitungen oder Magazinen. Einige Printmedien wie etwa die FAZ verzichten auf einen derartigen Zusatz bei ihren „Briefen an die Herausgeber“. Das liegt nicht daran, weil die Zeitung juristisch schlecht beraten ist. Vielmehr dient der übliche Hinweis in rechtlicher Hinsicht nur zur Klarstellung.

Bei Äußerungen in Medien wird grundsätzlich danach unterschieden, ob es sich um eigene Behauptungen oder um die Verbreitung einer Behauptung Dritter handelt, weil sich der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab und die Rechtsfolge unterscheiden. Wie sich aus den §§ 824 BGB (Kreditgefährdung) und 186 StGB (üble Nachrede) ergibt, soll niemand unwahre Tatsachen mit der Begründung verbreiten dürfen, er habe diese ja nicht selbst aufgestellt, sondern nur weitergegeben. Druckt eine Zeitung einen Leserbrief auf der entsprechenden Seite mit vollständiger Namensnennung des Einsenders ab, verbreitet sie dessen Behauptungen und Meinungen. Der Leserbrief wird aber nicht schon zur eigenen Behauptung der Redaktion oder des Verlages, nur weil der oben erwähnte Zusatz fehlt. Zur eigenen Behauptung wird die Wiedergabe von Äußerungen Dritter in einer Zeitung erst dann, wenn sich die Redaktion die von ihr verbreitete Meldung zu eigen macht. Das kann in unterschiedlicher Form geschehen, z.B. wenn eine Zeitung eine in einem anderen Blatt aufgestellte Behauptung ohne Quellenangaben wiedergibt oder ein Zitat eines Dritten als Bestätigung der eigenen Aussage erscheinen läßt. Es kommt darauf an, ob die Meldung sich in der Form, in der sie konkret aufbereitet wird, dem Leser als wahr darstellt (vgl. Soehring, Presserecht, 3. Auflage, Rn. 16.4). Entscheidend ist das Verständnis des Durchschnittslesers (vgl. BGH NJW 1966, 2010). Für Zeitungen kann es daher ratsam sein, sich von Äußerungen Dritter zu distanzieren, um sich diese nicht zu eigen zu machen. Das kann zum Beispiel durch genauen Bezug auf die Quelle, durch Verwendung von Wörtern wie „angeblich“ oder „nach Ansicht von“ oder „unbestätigten Angaben von ... zufolge“ geschehen. Der oben erwähnte Zusatz auf der Leserbriefseite soll die Distanzierung der Redaktion ausdrücken, ist aber beim Abdruck eines Leserbriefes mit Namensnennung des Einsenders in der Regel nicht nötig, denn auch ein Durchschnittsleser wird Behauptungen in einen solchen Leserbrief nicht als Behauptungen der Redaktion oder des Verlages verstehen. Ob mit oder ohne einen distanzierenden redaktionellen Hinweis: Prinzipiell haften die Medien für den Inhalt des abgedruckten Leserbriefes genauso wie sie sonst auch für die Verbreitung von Aussagen Dritter haften (vgl. Soehring, a.a.O., Rn. 16.19).

Wenn in einem Leserbrief unwahre Tatsachen behauptet werden, haftet also grundsätzlich auch die verbreitende Zeitung. Daher kann auch bei einer Äußerung in einem Leserbrief eine Gegendarstellung verlangt werden (OLG Hamburg AfP 1983, 345). Unter den entsprechenden Voraussetzungen können auch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung oder Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Art 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG gefordert werden.

Voraussetzung ist, daß im Leserbrief eine unwahre Tatsachen behauptet werden. Redaktionen müssen also bei der Prüfung von Leserbriefen genau darauf achten, ob der Leser Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Das Abgrenzungskriterium zur Meinungsäußerung ist, ob der Gehalt der Äußerung als etwas Geschehenes oder Gegenwärtiges einer objektiven Klärung zugänglich und grundsätzlich dem Beweis offensteht (BGHZ 132, 13; ausführlich Soehring, Rn. 14.1 ff). Liegt eine solche Tatsachenbehauptung vor und wird dadurch offenbar in Rechte Dritter eingegriffen, kann es die journalistische Sorgfaltspflicht gebieten, die Behauptung zu überprüfen, und, wenn sie nicht beweisbar ist, auf eine Veröffentlichung des Leserbriefes zu verzichten. Der Bundesgerichtshof hat allerdings anerkannt, daß eine eigenständige Pflicht der Redaktionen zur Überprüfung von Leserbriefen erst dann besteht, wenn darin im Einzelfall schwere Beeinträchtigungen der Rechte Dritter verbunden sind (vgl. BGH NJW 1986, 2503). Weitere Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist die Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich bei einer rechtswidrigen Äußerung vermutet wird. Allerdings fordert der Bundesgerichtshof bei Unterlassungsklagen an den Nachweis der Wiederholungsgefahr besondere Anforderungen, denn bei Leserbriefen kann eine Wiederholung nicht ohne weiteres vermutet werden; sie werden ja in der Regel nur ein Mal veröffentlicht (vgl. BGH NJW 1986, 2503). Praktisch sehr selten sind Schadens- und Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, denn sie setzten ein Verschulden voraus und ein Schaden durch die Behauptung ist häufig nicht nachweisbar.

Für die Haftung des Leserbriefschreibers gelten im Prinzip die gleichen Grundsätze. Allerdings gibt es keine Einschränkung der Prüfungspflicht hinsichtlich der erhobenen Vorwürfe. Wenn durch Tatsachenbehauptungen in einem Leserbrief Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt werden, kann der Schreiber zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet werden. In diesem Fall ist auch die Verpflichtung zur Abgabe eines Widerrufes möglich; das heißt einer Erklärung wie „Hiermit wiederrufe ich die in meinem Leserbrief vom... aufgestellte Behauptung, daß...“ In der Praxis ist das aber selten, denn der Widerrufsanspruch setzt voraus, daß die behauptete Tatsache erwiesen unwahr ist. Dafür trägt derjenige die Beweislast, der den Widerruf verlangt. Das hat speziell für einen Leserbrief unlängst das Landgericht Frankfurt/Oder ausdrücklich bestätigt (Urteil vom 24.11.2000, Az. 6 C 105/00).

Häufig ergeben sich Probleme, wenn Leser in ihren Briefen einen Verdacht gegen eine bestimmte Person oder ein Unternehmen äußern; sei es der Vorwurf einer Straftat oder eines sonst ehrenrührigen Verhaltens. Grundsätzlich dürfen Medien auch über Verdachtslagen unter Mitteilung der Quelle berichten, sofern es sich um einen Gegenstand berechtigten öffentlichen Interesses handelt und die gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die erforderliche Güterabwägung die Entscheidung rechtfertigt, den Verdacht gleichwohl zu veröffentlichen und durch die Art der Darstellung deutlich wird, daß es sich einstweilen um nicht mehr als einen Verdacht handelt (vgl. BGH AfP 2000, 167). Ob dann auch der Name des Betroffenen oder des betroffenen Unternehmens veröffentlicht werden darf, ist eine Frage der Güterabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Unproblematisch ist dies, wenn Leser lediglich ihre negative Meinung zum Verhalten in der Öffentlichkeit stehender Personen oder Unternehmen kundtun.

Gegen Meinungsäußerungen gibt es wegen des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nur, wenn die Meinungsäußerung die Grenze zur sogenannten Schmähkritik überschreitet. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann der Fall, wenn die persönliche Kränkung und Herabsetzung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt und es um die Diffamierung des Betroffenen geht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (vgl. BVerfG NJW 2002, 1192). Das hat das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel in der Behauptung gesehen, Heinrich Böll sei „ein steindummer, kenntnisloser, talentfreier Autor, auch einer der verlogensten, ja korruptesten“. Er sei „ein teils pathologischer, teils harmloser Knallkopf“; seine Werke seien häufig „widerwärtiger Dreck“ (vgl. BVerfG NJW 1993, 1462). Handelt es sich dagegen um eine zulässige Meinungsäußerung, besteht auch in Leserbriefen kein Grund, auf Namensnennungen und den konkreten Sachverhalt zu verzichten. Daher kann in diesem Fall auf Abkürzungen wir „Dr. G.“ oder „eine große Fast-Food-Kette“ verzichtet werden, sofern nicht zugleich auch unrichtige Tatsachenbehauptungen über die Betroffenen aufgestellt werden.

Im Einzelfall mag die Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unwahrer Tatsachenbehauptung schwierig sein: Die Behauptung, ein bestimmtes Unternehmen beschäftige vorbestrafte Mitarbeiter ist als Tatsachenbehauptung dem Beweis zugänglich, auch wenn das Wort „vorbestraft“ unterschiedlich verstanden werden kann, je nach dem ob es ein Laie oder ein Jurist benutzt. Die Behauptung, in einem bestimmten Unternehmen herrschten unzumutbare Arbeitsbedingungen, ist dagegen eine bloße Meinungsäußerung.

Im Verhältnis zwischen Leserbriefschreiber und der Redaktion gilt, daß diese auch bei einem ausdrücklichen Kürzungsvorbehalt nicht dazu berechtigt ist, Leserbriefe sinnentstellt zu kürzen oder sonstige sinnentstellende Veränderungen vorzunehmen. Dadurch würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Leserbriefschreibers verletzt. Erklärt der Schreiber ausdrücklich, er sei weder mit einer Kürzung noch mit einer redaktioneller Bearbeitung einverstanden, muß die Redaktion den Beitrag entweder unverändert abdrucken oder auf eine Veröffentlichung ganz verzichten (vgl. Soehring, a.a.O., Rn. 7.63).