RA Dr. Johannes Weberling: Auslaufmodell Pressevielfalt? Drucken

RA Dr. Johannes Weberling, Berlin:

Auslaufmodell Pressevielfalt?
Zur geplanten Lockerung des Pressekartellrechts

Am 26. Mai 2004 hat das Bundeskabinett den Entwurf des „Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ beschlossen. Damit soll das deutsche Kartellrecht, das im wesentlichen im „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB) geregelt ist, den europäischen Standards angeglichen werden.

Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Novelle soll jedoch gleichzeitig dazu genutzt werden, die für die Presse bisher geltenden kartellrechtlichen Sondervorschriften zu lockern. Während das deutsche Kartellrecht gegenüber dem europäischen nur noch begrenzte Anwendung findet, sind diese Sondervorschriften für die Presse nach wie vor von erheblicher Bedeutung.

In der Gesetzesbegründung zu der neuerlichen Novelle, durch die diese Sondervorschriften nunmehr teilweise rückgängig gemacht werden sollen, heißt es, die Lockerung sei für die Zeitungsverlage notwendig, um „ihre wirtschaftliche Basis zu verbreitern, um die ökonomische Grundlage der vorhandenen Pressevielfalt zu sichern“.

Richtig ist daran, daß praktisch alle Presseunternehmen eine wirtschaftliche Talfahrt in den letzten Jahren hinter sich gebracht haben, die nicht wenige von ihnen in ihrer Existenz bedroht. Die Auflagen von Tageszeitungen und Zeitschriften sind in ihrer Gesamtheit schon seit Jahren rückläufig. Dieser allmähliche Schrumpfungsprozeß zugunsten von Fernsehen, Radio und Internet entwickelte zur Krise, weil durch die Folge der allgemeinen Wirtschafts- und Werbeflaute hinaus Anzeigen zunehmend ins Internet abwanderten. Daß Anzeigen im Internet bei vergleichsweise wenig Aufwand für den Werbenden eine potentiell große Kundenanzahl erreichen, die räumlich nicht beschränkt ist, ist ein Grund dafür.

Daß der in der Novelle vorgesehene § 31 GWB es Verlagen nunmehr erlauben soll, untereinander Anzeigenkooperationen einzugehen (die bislang kartellrechtlich i. d. R. unzulässig sind), ist deshalb zu begrüßen. Diese Erleichterung dürfte den strukturellen Wettbewerbsvorteil, den das Internet bei Anzeigen gegenüber der Tagespresse hat, wenigstens teilweise ausgleichen.

Soweit die Novelle aber die Fusionskontrolle von Presseunternehmen aufweichen soll, ist sie strikt abzulehnen. Die geplanten Neuregelungen gefährden die Pressefreiheit in Deutschland.

Die kartellrechtliche Beurteilung von Pressefusionen unterliegt bisher besonderen Voraussetzungen. Während allgemein die Umsätze der an einer Fusion beteiligten Unternehmen bestimmte Schwellenwerte überschreiten müssen, bevor das Bundeskartellamt im Rahmen der Fusionskontrolle Unternehmenszusammenschlüsse untersagen kann (§ 36 GWB), gilt dies für Zusammenschlüsse im Pressebereich derzeit praktisch nicht. Selbst bei sog. „Bagatellfusionen“ kann das Bundeskartellamt den Zusammenschluß verbieten (so § 36 Abs. 2 S. 2 GWB).

Diese Vorschriften sichern seit 1976 die Meinungsfreiheit durch den Erhalt unternehmerischer Pressevielfalt in Deutschland, nachdem in den 60er und 70er Jahren eine regelrechte Welle von Zusammenschlüssen dazu geführt hatte, daß vielerorts nur noch eine einzige Monopolzeitung den Markt beherrschte. Die Bagatellgrenzen, die für andere Branchen gelten, sind im Pressebereich nicht sinnvoll, da Presseunternehmen auch dann i. d. R. vergleichsweise geringe Umsätze haben, wenn die von ihnen herausgegebenen Medien überregionale Bedeutung haben. Frühere Zusammenschlüssen belegen, daß eine einmal vollzogene Fusion einen Verlust von Meinungsvielfalt mit sich bringt, der nicht wieder rückgängig gemacht werden kann.

Die geplante Neuregelung soll die Pressefusionskontrolle in zwei wesentlichen Punkten ändern. Zum einen werden die Schwellenwerte von „Bagatellfusionen“ auch für die Presseunternehmen heraufgesetzt, was in engen Grenzen noch tolerierbar wäre.

Zum zweiten sollen aber im Pressebereich künftig marktbeherrschende Stellungen prinzipiell zugelassen werden. Hierzu sollen in § 36 GWB zwei Absätze eingefügt werden, die dem Bundeskartellamt die Kompetenz entziehen, Fusionen zwischen Presseunternehmen zu untersagen, selbst wenn dadurch eine marktbeherrschende Stellung entsteht. Diese generelle Zulassung wird zwar an einige Bedingungen geknüpft, die nachstehend noch angesprochen werden. Eine marktbeherrschende Stellung eines Presseunternehmens wird aber im Grundsatz generell erlaubt, während marktbeherrschende Stellungen in anderen Branchen unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 GWB verboten bleiben.

Die Neuregelung ist jedenfalls nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Die bisherige Rechtslage trägt den besonderen Vorgaben Rechnung, die sich aus der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ergeben. So hat das Bundesverfassungsgericht wörtlich festgestellt: „Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die strikte Durchsetzung dieses Grundstandards durch materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen sicherzustellen […]. Insbesondere obliegt es ihm, Tendenzen zur Konzentration rechtzeitig und so wirksam wie möglich entgegenzutreten, zumal Fehlentwicklungen gerade insoweit schwer rückgängig zu machen sind“ (vgl. BVerfGE (amtliche Entscheidungssammlung), Band 73, S. 118, 159 f.).

Während das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber verlangt, die Fusion von Medienunternehmen gegenüber anderen Branchen zu erschweren, würde die geplante Neuregelung die Fusion von Presseunternehmen im Gegenteil sogar noch erleichtern.

Daran ändern auch die vorgesehenen Bedingungen für diese Freigabe nichts Wesentliches. Die generelle Zulassung von Pressefusionen soll nur zulässig sein, wenn die erworbene Zeitung „langfristig neben der erwerbenden [...] als eigenständige redaktionelle Einheit erhalten bleibt“. Insbesondere soll nach einer sog. „Altverlegerklausel“ im Entwurf der „alte“ Verleger mindestens 25 % der Anteile am Presseunternehmen sowie die Titelrechte behalten und muß bei einigen Grundentscheidungen mitbestimmen können.

Dieser Klausel liegt die Annahme zugrunde, daß die vorherrschende Meinung einer Zeitung von den Beteiligungsverhältnissen am Verlagsunternehmen unabhängig sei, solange man einem Minderheitsgesellschafter nur bestimmte Mindestrechte zugesteht. Diese Auffassung ist schlicht weltfremd. Wenn ein Mehrheitsgesellschafter seine Meinung in seinem Blatt durchsetzen will, ändern daran weder Titelrechte, noch die Besetzung eines Chefredakteurs etwas. Jedem Redakteur ist stets bewußt, wem „seine“ Zeitung tatsächlich gehört. Jeder Redakteur hat eine entsprechende „Schere im Kopf“, ob er will oder nicht. Im Konfliktfall kann der Mehrheitsgesellschafter zudem ausreichende wirtschaftliche „Druckmittel“ wie beispielsweise die Festlegung von Seitenumfängen und Personal- sowie Sachmitteln einsetzen, um den Minderheitsgesellschafter davon abzuhalten, seine ihm nach dem Entwurf zustehenden Rechte tatsächlich geltend zu machen. Wer das Geld hat, bestimmt auch über die Ausrichtung des Unternehmens.

Daß sich die politische Ausrichtung eines Blattes nach derjenigen des Inhabers richtet, läßt sich auch durch das im neuen § 36 GWB vorgesehene Altverlegermodell nicht verhindern. Beispielsweise hat Rupert Murdoch 1981 die Times in London sowie 1993 die New York Post erworben und beiden Blättern eine Kehrtwende in eine neue, konservative Richtung verpaßt. Es ist nicht vorstellbar, daß das vorgesehene Altverlegermodell an dieser Ausrichtung etwas geändert hätte.

Daß sich die politische Ausrichtung eines einzelnen Blattes an der seines Eigentümers zu orientieren hat, ist selbstverständlich dessen gutes Recht. Gerade im Falle Murdoch wird jedoch deutlich, wie problematisch eine unzureichende Fusionskontrolle im Pressewesen ist. Der kürzlich erfolgte Schwenk des britischen Premierministers Tony Blair, nunmehr die geplante europäische Verfassung durch ein Referendum bestätigen lassen zu wollen, wird übereinstimmend auf die Meinungsmacht von Rupert Murdoch in Großbritannien zurückgeführt. Murdoch ist bekanntlich extrem europakritisch eingestellt und besitzt in Großbritannien über die News Corporation – neben einer Vielzahl von Fernsehsendern – u. a. die Sun und die Times.

Die Auswirkungen sind in Italien, wo sogar der Ministerpräsident selbst einen Großteil der Presse sowie inzwischen alle großen Fernsehsender kontrolliert, noch offensichtlicher.

Irreführend ist auch die weitere geplante gesetzliche Einschränkung, daß die Fusion im Einzelfall „erforderlich“ sein muß. Denn die Erforderlichkeit wird gesetzlich bereits „vermutet“, wenn die Anzeigenerlöse in drei aufeinanderfolgenden Jahren rückläufig sind. Dies dürfte bei der ganz überwiegenden Mehrzahl der deutschen Zeitungen in den letzten Jahren der Fall gewesen sein. Diese scheinbare Einschränkung ist in Wirklichkeit ein Freibrief für weitere Zusammenschlüsse.

Bemerkenswert ist schließlich, daß es den Beteiligten des Zusammenschlusses selbst überlassen bleiben soll, die Kontrolle darüber auszuüben, daß die Meinungsvielfalt nach der Altverlegerklausel erhalten bleibt. Nur so ist der geplante § 26 Abs. 1a Satz 4 GWB zu verstehen, wonach „zivilrechtliche Ansprüche“ die Altverlegerrechte abzusichern haben. Die Meinungsvielfalt ist jedoch ein objektives Gut, an dem die Allgemeinheit ein Interesse hat und das durch das Kartellrecht zu sichern ist. Wie ausgerechnet die Beteiligten einer Pressefusion, die diesem objektiven Gut prinzipiell zuwiderläuft und es gerade einschränkt, dieses selbst zivilrechtlich wirksam schützen sollen, ist nicht vorstellbar.

Bislang ist noch kein einziger überzeugender Grund vorgebracht worden, warum nunmehr marktbeherrschende Stellungen generell erlaubt werden sollen. Wenn die Krise der Presseunternehmen hierfür der Grund sein soll, warum wird die Aufweichung dann gerade von den gesunden Unternehmen wie Holtzbrinck, Springer und der WAZ-Gruppe befürwortet? Warum wird sie von denjenigen Zeitungen, die tatsächlich eine tiefe Krise durchlaufen haben, wie z. B. der FAZ und der SZ abgelehnt?

Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, daß die Aufweichung des Pressefusionsrechts auf einen bestimmten Einzelfall zugeschnitten ist. In Berlin standen sich bislang im wesentlichen drei in etwa gleich starke Verlagsgruppen im Bereich der Abonnementzeitungen gegenüber: der Holtzbrinck-Konzern mit dem Tagesspiegel, Springer mit der Berliner Morgenpost, und Gruner+Jahr mit der Berliner Zeitung. Als Holtzbrinck mit Gruner+Jahr übereinkam, die Berliner Zeitung zu übernehmen, wurde dieser Zusammenschluß 2002 vom Bundeskartellamt untersagt. Aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung mit Gruner+Jahr mußte Holtzbrinck zwar den Kaufpreis von angeblich 160 Mio. Euro zahlen, ohne den Kauf selbst vollziehen zu dürfen. Auch ein zweiter Versuch, das Kartellamt von dem Zusammenschluß zu überzeugen, nachdem Holtzbrinck den Tagesspiegel an den ehemaligen Holtzbrinck-Manager Pierre Gerckens verkauft hatte, schlug fehl. Nachdem das Kartellamt den Kaufvertrag geprüft hatte, untersagte es erneut den Kauf der Berliner Zeitung, weil es den Tagesspiegel unverändert dem Holtzbrinck-Konzern zurechnete.

Daß sich eine Verlagsgruppe über eine ungünstige Vertragsgestaltung ärgert, aufgrund derer sie das Kartellrisiko trotz Zahlung des Kaufpreises an Gruner+Jahr tragen muß, und auch der (angeblich dauerhafte) Verkauf des Tagesspiegels das Kartellamt nicht überzeugte, ist verständlich. Daß deswegen aber der Gesetzgeber tätig werden müßte, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Existenz der Verlagsgruppe Holtzbrinck nicht im entferntesten gefährdet ist (und sich der Bauer Verlag sogar ausdrücklich bereit erklärt hatte, den angeblich unverkäuflichen Tagesspiegel zu kaufen).

Die Pressekonzentration in Deutschland ist bereits weit fortgeschritten. In den alten Bundesländern gibt es in mehr als 50 % der Landkreise nur eine bzw. keine weitere konzernunabhängige regionale Abonnement-Tageszeitung. In den neuen Bundesländern befanden sich 1997 – nach der Privatisierung durch die Treuhand – 85 % der Presse in den Händen von 10 westdeutschen Großverlagen. In den neuen Bundesländern sind Ein-Zeitungskreise die Regel. Die Hürden für den Zutritt zum Markt der Tageszeitungen sind so hoch, so daß in den letzten Jahrzehnten nur wenige erfolgreiche Neugründungen wie die taz, die Financial Times Deutschland oder die Altmark-Zeitung und der Oranienburger Generalanzeiger gelangen.

Die geplante Neuregelung nützt nicht – wie behauptet – den Kleinverlagen, die gegenwärtig ohnehin schon fusionieren können. Die Novelle nützt in erster Linie profitablen Großverlagen, die die Neuregelung wohl auch deshalb vehement befürworten. Dadurch droht aber die unternehmerische Pressevielfalt, die bisher die Meinungsvielfalt in Deutschland garantierte, empfindlich eingeschränkt zu werden.

(Erschienen in promedia. Das Medienmagazin aus Berlin (www.promedia-berlin.de)