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Artikel der Märkischen Oderzeitung vom 22. Oktober 2004

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Märkischen Oderzeitung)

Frankfurter Medienrechtstage: Hilferufe aus Osteuropa

Kämpfen für die Pressefreiheit: Die Weißrussin Tatjana Melnichuk, der Russe Alexej Simonow, Christian Möller von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie die Schwedin Helena Jäderblom vom Europarat.

Frankfurt (Oder) (MOZ) Die Pressefreiheit ist in den meisten europäischen Ländern verfassungsrechtlich garantiert. Wie Anspruch und Wirklichkeit insbesondere in den ost- und südosteuropäischen Ländern zum Teil extrem auseinanderfallen, war Thema bei den „Medienrechtstagen“ an der Frankfurter Europauniversität.

Die Minsker Journalistin Tatjana Melnichuk darf in den Medien ihres Landes nicht mehr publizieren. Stattdessen gibt es Beobachter, die ihre Familie kontrollieren und schikanieren. „Man hat zum Beispiel meinen Sohn gefragt, ob wir zu Hause staatsfeindliche Schriften lagern, oder mich, ob unser Hund ordnungsgemäß gemeldet ist.“

So wie Melnichuk geht es Hunderten Journalisten aus Weißrussland. Im Umfeld der kürzlichen Abstimmung über die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten Aleksander Lukaschenko, die von internationalen Wahlbeobachtern als „Farce“ bezeichnet wurde, mussten allein 11 der 15 Zeitungen, die man noch als einigermaßen unabhängig bezeichnen kann, ihr Erscheinen zeitweilig einstellen. Um in Ungnade zu fallen oder vor Gericht der Beleidigung des Präsidenten bezichtigt zu werden, genügt es bereits, öffentlich die Frage zu stellen, ob es richtig sei, dass Lukaschenko auf Staatskosten in den Urlaub fährt.

Ähnlich wie zu sowjetischen Zeiten, als es in jeder Verwaltung und in zahlreichen Betrieben einen Sekretär für Agitation und Propaganda gab, wurde unlängst erneut eine „ideologische Vertikale“ errichtet. Dahinter verbergen sich Verantwortliche für die ideologische Arbeit auf jeder Ebene der Behörden, die den Pressevertretern diktieren, was diese zu berichten haben.

Die Beschreibung der derzeitigen weißrussischen Zustände war der schockierende Höhepunkt der „Frankfurter Medienrechtstage“, die zum dritten Mal an der Viadrina veranstaltet wurden. „Ich bitte Sie, möglichst viel über unser Land zu berichten. Bis vor kurzem gab es im Westen kaum ein Interesse an Belarus“, richtete Melnichuk einen Hilfsappell an die Vertreter aus den anderen Ländern.

Doch Weißrussland ist nicht der einzige Problemfall. „Es könnte sein, dass es nach der Präsidentenwahl Ende Oktober ähnliche Zustände auch in der Ukraine geben wird“, warnte Valeri Iwanow von der Akademie der Ukrainischen Presse in Kiew. „Und bei uns in Russland wird immer vier bis fünf Jahre später das Gleiche gemacht wie in Weißrussland“, prophezeite auch Alexej Simonow vom Fonds zur Verteidigung der Medienfreiheit in Moskau.

Die wichtigsten Fernsehsender und Zeitungen der Ukraine und Russlands befänden sich schon jetzt unter staatlicher Kontrolle, berichteten sie. In ganz Russland erschienen täglich vielleicht noch 800 000 Zeitungsexemplare, deren Inhalt man als einigermaßen unabhängig bezeichnen könne, so Simonow.

Übereinstimmend zeigten sich die Osteuropäer von der offiziellen Haltung des Westens zu diesen Problemen enttäuscht. „Die technischen Anlagen, mit denen in Weißrussland nicht genehme Internetseiten gesperrt werden, kamen aus dem Westen. Und Kanzler Schröder lobt immer wieder den Einsatz von Präsident Putin für die Demokratie“, kritisierte Simonow. Dabei werde auch in der russischen Verwaltung derzeit an einer „ideologischen Vertikale“ gearbeitet.

Kritische und zum Teil kuriose Zustandsbeschreibungen kamen auch aus Rumänien, Bulgarien und Serbien. So verweigerte das Bulgarische Außenministerium Auskünfte über einen neuen Vertrag mit der Behörde Interpol. Als Begründung erklärte man Journalisten, dass es sich um ein Staatsgeheimnis handele. Dabei war der Vertrag schon auf der Internet-Seite des Ministeriums veröffentlicht worden. Einem in Serbien lebenden bosnischen Journalisten war gar die Anreise zu der Frankfurter Konferenz verweigert worden.

Auf die negative Anwendung von Gesetzen zum Schutz von Staatsgeheimnissen und gegen die Verleumdung von Politikern machte Dietrich Schlegel von der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ aufmerksam. Deren Sinn werde von den Behörden oft pervertiert. Viele Journalisten in Ost- und Südosteuropa, die sich um objektive Informationen bemühen, seien stattdessen körperlicher und psychologischer Bedrohung ausgesetzt. Immer wieder würden einzelne Berichterstatter umgebracht.

Der Schwerpunkt Medienrecht an der Viadrina werde die auf der Konferenz aufgeworfenen Probleme weiter untersuchen, erklärte dessen Mitinitiator Johannes Weberling. Der Medienexperte verwies auch auf Missstände in Deutschland. Informationsfreiheits- und Akteneinsichtsgesetze gebe es überhaupt erst in vier Bundesländern, darunter in Brandenburg. Aber selbst hier würden für Auskünfte Gebühren erhoben. Außerdem gebe es lange Wartefristen. Dass Informationsfreiheit Teil der Demokratie ist, müsse im öffentlichen Bewusstsein noch stärker deutlich werden.