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Thesenpapier „Medienrecht in der Realität – Aktuelle medienrechtliche Entscheidungen des VG Berlin“

I. Zulassung/Kanalbelegung

1. Sendeerlaubnis, Urteil vom 23. November 2003 – VG 27 A 125.02

(rechtskräftig)

Leitsätze:

  1. Zur Rechtswidrigkeit einer Entscheidung über die Verlängerung einer Senderlaubnis für terrestrischen Rundfunk, die den Verlängerungsantrag als „milderes Mittel“ aus Gründen des im Kabelnetz bestehenden Kapazitätsengpass nur modifiziert bescheidet.
  2. Unter den Begriff „entsprechende Programme“ in § 30 Abs. 2 und § 30 Abs. 3 Nr. 3 MStV fallen nur solche konkurrierenden Programme, die sowohl nach der Übertragungsart (terrestrischer oder Kabelrundfunk) als auch nach den Kriterien des § 2 Abs. 2 MStV dem zur Verlängerung anstehenden Programm gleichen.
  3. Liegt ein Kapazitätsengpass im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 3 MStV vor, ist ein Vergabeverfahren nach § 30 Abs. 2 MStV durchzuführen.

2. Kabelkanalbelegung ARTE, Urteile vom 25. Juli 2002 – VG 27 A 87.01 und VG 27 A 86.02

(letzteres ZUM-RD 2002, 505; beide nicht rechtskräftig)

Leitsatz:

Die Pflicht, ein nach § 41 Abs. 1 Satz 1 oder 2 MStV privilegiertes Programm in ein Kabelnetz einzuspeisen, umfasst ggf. die Pflicht des Kabelnetzbetreibers, ein als digitales Signal erstverbreitetes Programm umzuformen und als analoges signal weiterzuverbreiten.

3. Kabelkanalbelegung ARTE/KiKa, Beschluss vom 24. Juni 2003 – VG 27 A 48.03

(nicht rechtskräftig)

Orientierung: Ausdehnung der Sendezeit von ARTE, Umlegung von KiKa auf bisher von Bayern 3 genutzten Kanal, Aussetzung der Vollziehung durch Medienanstalt bis zu einer Einigung zwischen KiKa und Bayern 3 auf „zuschauerfreundliche Umschaltzeiten“, Wiederherstellung der sofortigen Vollziehung auf Antrag von ARTE

II. Zulässige Inhalte

1. Jugendschutz, James Ryan, Urteil vom 27. Juni 2002 – VG 27 A 398.01

(K&R 2002, 499 m. Anm. Bornemann, S. 474; ZUM 2002, 758; MMR 2003, 56 m. Anm. Palzer; rechtskräftig)

Leitsätze:

  1. Über Ausnahmegenehmigungen von den Zeitgrenzen für die Verbreitung von Filmen, die für Jugendliche unter 16 Jahren nicht freigegeben sind, entscheidet nicht der Medienrat, sondern der Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB).
  2. Entscheidungen im Bereich des Jugendschutzes, die die Rundfunkfreiheit betreffen, müssen staatsfern und auf Grund einer pluralistischen Meinungsbildung ergehen. Diese Voraussetzung erfüllt die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), nicht aber der Direktor der MABB oder die Gemeinsame Stelle Jugendschutz und Programm der Landesmedienanstalten (GSJP). Letztere sind daher nur berufen, ein Gutachten der FSF auf Plausibilität und Einhaltung einheitlicher Prüfungsmaßstäbe zu überprüfen, nicht aber, eine eigene Bewertung vorzunehmen.
  3. Eine Entscheidungspraxis, sich im Zweifelsfall an die Empfehlung der GSJP zu halten, ist ermessensfehlerhaft.

2. Cross Promotion, Urteil vom 16. September 2002 - VG 27 A 193.00

(ZUM 2002, 933, nicht rechtskräftig, Entscheidung im Berufungsverfahren OVG 8 N 232.02 für dieses Jahr angekündigt)

Orientierungssätze (nach juris):

  1. Auch wenn im Zeitpunkt der Ausstrahlung die EU-Fernsehrichtlinie (EWGRL 552/89 – EGRL 36/97) noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt und ebenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist, sind die in den Rundfunkregelungen des Bundes und der Länder verwendeten Begriffe der Werbung und des Fernsehveranstalters jedenfalls im Lichte dieser EU-Fernsehrichtlinie auszulegen (Zeitpunkt: Januar 2000).
  2. Werbung i.S.d. EGRL 36/97 Art. 1 Buchst. c liegt bei einer „Cross-Promotion“ deshalb nicht vor, weil es an dem Merkmal „entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung“ fehlt. Entgelt oder Gegenleistung sind – sofern es sich nicht um Eigenwerbung handelt – konstitutiv für den Werbungsbegriff. Infolgedessen gilt für eine „Cross-Promotion“ nicht das für die Werbung bestehende Trennungsgebot und Kennzeichnungsgebot.
  3. Eigenwerbung ist eine besondere Form der Werbung, bei der der Veranstalter seine eigenen Produkte, Dienstleistungen, Programme oder Sender vertreibt. Gemäß EGRL 36/97 Art. 1 Buchst. b ist Fernsehveranstalter die natürliche oder juristische Person, die die redaktionelle Verantwortung für die Zusammensetzung von Fernsehprogrammen i.S.d. EGRL 36/97 Art. 1 Buchst. a trägt und diese Fernsehprogramme sendet oder senden läßt. Daraus folgt, dass die Ausstrahlung einer „Cross-Promotion“ für einen konzernverbundenen Fernsehsender keine Eigenwerbung des ausstrahlenden Senders darstellt und deshalb keine Trennungspflicht oder Kennzeichnungspflicht besteht.

III. Aufsichtsmaßnahmen

1. Entgeltabschöpfung, Bimmel-Bingo, Zwischenurteil und Vorlagebeschluss vom 13. November 2003 – VG 27 A 9.03

(Zwischenurteil rechtskräftig)

  1. Die Aufforderung der Medienanstalt, gemäß § 69 Abs. 3 Satz 2 MStV Angaben über die Höhe der mit einer Sendung durch Werbung erzielten Entgelte zu machen, ist ein isoliert anfechtbarer Verwaltungsakt.
  2. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Medienanstalt die Höhe der Entgelte auf Grund ihr sonst zugänglicher Erkenntnisse berechnet, wenn der Veranstalter die nach § 69 Abs. 3 Satz 2 MStV verlangte Auskunft verweigert.
  3. § 69 Abs. 3 MStV, der die Abschöpfung der mit einer beanstandeten Sendung durch Werbung erzielten Entgelte vorsieht, verstößt nach Auffassung der Kammer gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, da der Bundesgesetzgeber diese Sanktion als Verfall im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht abschließend geregelt hat. Der Landesgesetzgeber ist nicht berechtigt, eine gleichartige Sanktion an ein Verhalten zu knüpfen, das nicht seinerseits strafrechts- oder ordnungswidrig ist.

2. Ausschluss vom OKB, Urteil vom 25. April 2002 – VG 27 A 198.00

(rechtskräftig)

Orientierung: Der Ausschluss von der Nutzung des Offenen Kanals Berlin (OKB) ist zwar eine Beeinträchtigung der dem Betroffenen durch die Zulassung nach § 1 der OKB-Satzung eingeräumten Rechtsposition, doch ist diese nicht grundrechtsrelevant, da das Recht, seine Meinung durch Rundfunk zu äußern und zu verbreiten, durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht gewährleistet wird und Privatpersonen, die nicht auch Veranstalter sind, nicht Träger der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind. Träger der Rundfunkfreiheit sind diejenigen natürlichen und juristischen Personen, die Programme veranstalten, wobei unter Programm eine auf längere Dauer angelegte, planmäßige und strukturierte Abfolge von Sendungen oder Beiträgen zu verstehen ist; Veranstalter ist somit, wer die Struktur festlegt, die Abfolge plant, die Sendungen zusammenstellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung dem Publikum anbietet, nicht aber der bloße Zulieferer einzelner Sendungen oder Programmteile (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 1998 – 1 BvR 661.94, BVerfGE 97, 298 [310]). Veranstalter und Träger der Rundfunkfreiheit ist somit der OKB, nicht dessen Nutzer.

IV. Pressefreiheit

1. Hausverbot im Bundestag, Urteil vom 18. Juni 2001 – VG 27 A 344.00

(AfP 2001, 437 m. Anm. Kreile S. 458; NJW 2002, 1063; rechtskräftig)

Leitsätze:

  1. Die Erteilung eines an einen Journalisten gerichtetes Hausverbots für das Betreten des Deutschen Bundestages ist ohne vorherige Anhörung formell rechtswidrig.
  2. Die durch Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages und das hieraus abgeleitete Hausrecht stellt ein die Presse- und Rundfunkfreiheit unmittelbar einschränkendes Verfassungsgut dar.
  3. Eine einmalige Verletzung des Hausrechts des Deutschen Bundestages (hier durch genehmigungslose Fernsehaufnahmen) rechtfertigt ein auch nur zeitlich befristetes Hausverbot nur dann, wenn die Gefahr einer weiteren Verletzung gegeben ist. Die Verhängung eines solchen Hausverbots unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr als Strafe (Sanktion) erlaubt das Hausrecht des Bundestagspräsidenten nicht.

2. Akkreditierung im Bundestag, Beschluss vom 1. April 2004 - VG 27 A 81.04

Leitsätze:

  1. Das Hausrecht gestattet es dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, einem Pressevertreter die Akkreditierung (Ausstellen eines Presseausweises für die Gebäude des Bundestages) zu versagen, wenn von diesem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Begehen von Straftaten zu befürchten ist (hier: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Selbstmordanschläge).
  2. Die Befürchtung, der Stillstand der politischen Führung gefährde die Grundordnung des Staates, berechtigt nicht zum Widerstand i.S.v. Art. 20 Abs. 4 GG gegen die Vollstreckung einer Erzwingungshaft.

Ulrich Keßler
Richter am Verwaltungsgericht Berlin