EuGH: Werbeunterbrechungen Drucken

Europäischer Gerichtshof
Urteil vom 23. Oktober 2003

Rs. C-245/01
(RTL Television GmbH / Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk – Werbeunterbrechungen)

 Vorabentscheidung "Richtlinie 89/552/EWG - Artikel 11 Absatz 3 - Fernsehen - Fernsehwerbung Werbeunterbrechungen audiovisueller Werke - Begriff der Reihen"

(Fünfte Kammer)

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Juni 2001 vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Am 7. Oktober 1993 strahlte RTL „Die Rache der Amy Fisher“ aus, einen Film von 86 Minuten Länge, und unterbrach diesen viermal durch Werbung. Entsprechend verfuhr sie eine Woche später bei der Ausstrahlung von „Schreie im Wald“, einem Film von 90 Minuten Länge. Diese Filme wurden im Rahmen eines Zyklus „Gefährliche Leidenschaften“ gesendet.

Mit Bescheid vom 12. November 1993 stellte der Niedersächsische Landesrundfunkausschuss (im Folgenden: NLA) fest, dass RTL durch die Unterbrechung beider Filme mit jeweils vier Werbepausen gegen § 26 Absatz 4 Satz 1 des Rundfunkstaatsvertrags verstoßen habe. Er verbot, diese Filme im Fall einer erneuten Ausstrahlung mit mehr als einer bzw. zwei Werbepausen zu unterbrechen.

Mit demselben Bescheid untersagte der NLA RTL, acht weitere Filme und jeden Kinospielfilm oder Fernsehfilm, der im Rahmen der in den Programmübersichten ausgewiesenen Reihen („Gefährliche Leidenschaften“, „Familienschicksale“ und „Der große TV-Roman“) ausgestrahlt werde, häufiger durch Werbung zu unterbrechen, als es § 26 Absatz 4 Satz 1 des Rundfunkstaatsvertrags gestatte.

Zur Begründung seiner Maßnahme führte der NLA aus, dass die fraglichen Sendungen nicht als Teile einer Reihe im Sinne des § 26 Absatz 4 des Rundfunkstaatsvertrags anzusehen seien und daher nicht in zeitlichen Abständen von 20 Minuten durch Werbung unterbrochen werden könnten.

Der Begriff der Reihe sei dem der Serie verwandt und verlange eine weitgehende Identität der einzelnen Sendungen durch Handlungsmuster und Personen. Weder der Sendeplatz noch die Tatsache, dass das Drehbuch auf einem Roman basiere oder dass gewisse thematische Übereinstimmungen, wie Liebe, Leid oder allgemeine Familienbeziehungen, erkennbar seien, reichten als verbindende Elemente aus, um diese Sendungen als Reihe einstufen zu können.

Am 23. November 1993 erhob RTL beim Niedersächsischen Venvaltungsgericht (Deutschland) Klage auf Aufhebung des Bescheides des NLA.

Mit Urteil vom 25. September 1997 wies das Niedersächsische Verwaltungsgericht die Klage von RTL ab. RTL legte beim vorlegenden Gericht Berufung gegen dieses Urteil ein.

Das vorlegende Gericht hat daher die Entscheidung ausgesetzt und beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Filme, die für das Fernsehen produziert worden sind und nach ihrer Konzeption Pausen für die Einfügung von Werbespots vorsehen, in Anbetracht der Zielsetzung von Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552, die darin besteht, Werbeunterbrechungen zum Schutz des künstlerischen Wertes von Kinospielfilmen und Fernsehfilmen einzuschränken, unter den Begriff „Fernsehfilme“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.

RTL macht geltend, dass für das Fernsehen produzierte Filme, die bereits nach ihrer Konzeption Pausen für die Einfügung von Werbespots vorsähen, nicht unter den Begriff „Fernsehfilme“ in Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 fielen.

Dieser Auslegung stehen sowohl der Wortlaut als auch die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung entgegen.

Der Wortlaut des Artikels 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 ist eindeutig. Er enthält keinen Anhaltspunkt für eine eigene Kategorie von für das Fernsehen produzierten Filmen, die nicht unter den Begriff „Fernsehfilme“ fallen, weil sie bereits nach ihrer Konzeption Pausen für Werbespots vorsehen.

Dies wird auch durch die Entstehungsgeschichte von Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 bestätigt, wie sie u. a. das vorlegende Gericht dargelegt hat. Dem Vorschlag der Kommission zur Änderung dieser Bestimmung, der darauf abzielte, die Fernsehfilme von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regelung auszuklammern, ist der Rat nämlich nicht gefolgt. Dieser Vorschlag war aber gerade damit begründet worden, dass bei solchen Filmen bereits in der Konzeptionsphase natürliche Pausen vorgesehen werden können, in die sich Werbespots einfügen lassen, ohne die Einheit des Werkes zu gefährden.

Aus der siebenundzwanzigsten Begründungserwägung und aus Artikel 11 Absatz&1 nbsp;der Richtlinie 89/552 folgt, dass diese Bestimmung einen ausgewogenen Schutz der Bnanziellen Interessen der Fernsehveranstalter und der Werbetreibenden einerseits sowie der Interessen der Rechteinhaber, d.  h. der Autoren und Urheber, und der Zuschauer als Verbraucher andererseits bezweckt.

Doch selbst wenn dieses Ziel, wie RTL vorträgt, für die in Rede stehenden Filme insofern, als es sich auf den Schutz der Interessen det Fernsehveranstalter und derjenigen der Rechteinhaber erstreckt, nicht von Bedeutung sein sollte, da dieser Schutz hier nicht gefordert wird, bleibt im vorliegenden Fall doch ein anderer wesentlicher Aspekt dieser Zielsetzung eindeutig relevant, nämlich der Schutz der Zuschauer als Verbraucher gegen übermäßige Werbung.

Die von RTL vertretene Auslegung verkennt diesen gleichwohl wesentlichen Aspekt des von Artikel 11 der Richtlinie 89/552 verfolgten Zieles eines ausgewogenen Schutzes.

Schließlich führt eine Auslegung, nach der die weitergehende Schutzregelung des Artikels 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 auch auf Fernsehfilme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbar ist, nicht zu einem Ergebnis, das mit den Grundrechten nicht vereinbar wäre.

ieser stärkere Schutz kann zwar eine Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellen, wie sie in Artikel 10 Absatz 1 EMRK, auf den die achte Begründungserwägung der Richtlinie 89/552 im Übrigen verweist, verankert ist.

Diese Einschränkung ist jedoch nach Artikel 10 Absatz 2 EMRK gerechtfertigt.

Denn sie verfolgt ein legitimes Ziel, nämlich den „Schutz ... der Rechte anderer“ im Sinne der genannten Bestimmung, d. h. den Schutz der Zuschauer als Verbraucher sowie deren Interesse, Zugang zu Programmen guter Qualität zu haben. Diese Ziele können Maßnahmen gegen übermäßige Werbung rechtfertigen.

Zur Verhältnismäßigkeit der fraglichen Einschränkung ist festzustellen, dass diese nicht den Inhalt der Werbebotschaft betrifft, dass sie kein Verbot, sondern lediglich eine Begrenzung der Zahl der Unterbrechungen enthält, die für alle Veranstalter gilt, und dass sie es grundsätzlich den Fernsehveranstaltern überlässt, den Zeitpunkt (vgl. Punkt 249 des Erläuternden Berichts zum Fernsehübereinkommen) und – in den Grenzen des Artikels 18 der Richtlinie 89/552 – die Länge der Werbeunterbrechungen zu bestimmen.

Zur zweiten, dritten und vierten Frage

Mit der zweiten, der dritten und der vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, mtichte das vorlegende Gericht wissen, welche Verbindung zwischen Filmen bestehen muss, damit sie unter die in Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 vorgesehene Ausnahmeregelung für "Reihen" fallen künnen.

Bei audiovisuellen Werken wie u. a. Fernsehfilmen sollen die Zuschauer durch Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552 stärker gegen übermäßige Werbung geschützt werden.

Einem im Wesentlichen an formalen Kriterien orientierten Verständnis des Begriffes „Reihen“, wie es RTL vertritt, kann nicht gefolgt werden, weil dies die Erreichung dieses Zieles beeinträchtigen würde.

Der Begriff „Reihen“ erfordert mithin materielle Verbindungen, d. h. Gemeinsamkeiten, die sich auf den Inhalt der betreffenden Filme beziehen.

Zur näheren Bestimmung der Merkmale des Begriffes "Reihen" ist auf die Gründe abzustellen, aus denen die Richtlinie bei Sendungen wie den Reihen einen weniger weit gehenden Schutz der Zuschauer gegen übermäßige Werbung vorsieht.

Dieser geringere Schutz lässt sich damit erklären, dass Reihen gerade aufgrund der inhaltlichen Elemente, die die einzelnen Filme, aus denen sie bestehen, verknüpfen, wie z. B. der Fortentwicklung einer Handlung oder des Wiederkehrens einer oder mehrerer Personen, von den Fernsehzuschauern geringere Aufmerksamkeit verlangen als Filme.

Der Gerichtshof hat für Recht erkannt:

  1. Filme, die für das Femsehen produziert worden sind und nach ihrer Konzeption Pausen für die Einfügung von Werbespots vorsehen, fallen unter den Begriff „Fernsehfilme“ in Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit in der Fassung der Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997.

  2. Die Verbindungen, die zwischen Filmen bestehen müssen, damit diese unter die in Artikel 11 Absatz 3 der genannten Richtlinie vorgesehene Ausnahme für „Reihen“ fallen können, müssen sich aus dem Inhalt der betreJfenden Filme ergeben, wie z. B. der Fortentwicklung einer Handlung von einer Sendung zur anderen oder dem Wiederkehren einer oder mehrerer Personen in den einzelnen Sendungen.

Generalanwalt F. G. Jacobs hat seine Schlussanträge in der Sitzung der Fünften Kammer vom 22. Mai 2003 voreetragen.

Er ist der Meinung gewesen, dass die Vorlagefragen wie folgt beantwortet werden sollten:

     

  1. Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit in der Fassung der Richtlinie 97/36/EG vom 30. Juni 1997 ist unabhängig davon anwendbar, ob Fernsehfilme von vornherein für das Fernsehen produziert worden sind und nach ihrer Konzeption Pausen für die Einfügung von Werbespots vorsehen.
  2.  

     

  3. Mehrere audiovisuelle Werke stellen eine ,Reihe' im Sinne der Vorschrift dar, wenn sie einen durchgehenden dramatischen Erzählstrang oder Personen (dramatis personae) gemeinsam haben.
  4.  


Quelle: Tätigkeiten des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Bulletin der Abteilung Presse und Information des Gerichtshofes), Nr. 28/03, S. 14 ff.