Presseecho: Osteuropa-Recht Drucken

Strategien zur Durchsetzung und Stabilisierung der Pressefreiheit in Ost-/Südosteuropa
4. Frankfurter Medienrechtstage am 20./21. Oktober 2005 in Frankfurt (Oder)

Der Diskussion von „Strategien zur Durchsetzung und Stabilisierung der Pressefreiheit in Ost-/Südosteuropa“ waren die diesjährigen Frankfurter Medienrechtstage vom 20./21. Oktober 2005, unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs des Europarates, Herrn Terry Davis, und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Presserat, gewidmet. Die Veranstalter, der Studienschwerpunkt Medienrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, wählten in diesem Jahr ein nicht nur brisantes, sondern, insbesondere vor dem Hintergrund anstehender Parlaments- und Präsidialwahlen in der Region, zugleich auch hoch aktuelles Thema.

Auch in Westeuropa, welches sich durch seine historisch gewachsene Pressefreiheit gern als Vorbild für postkommunistische Staaten sieht, wuchsen die Gefahren für die Pressefreiheit, so der Initiator der Frankfurter Medienrechtstage, Rechtsanwalt Prof. Dr. Johannes Weberling, in seiner Eröffnungsrede. Weberling verwies insbesondere auf das in Deutschland rauher werdende Klima für die Pressefreiheit am Beispiel der „Cicero-Affäre“. Auf dem Papier garantierten alle europäischen Staaten eine umfassende Pressefreiheit. Theorie und Praxis würden jedoch insbesondere in Ost- und Südosteuropa leider sehr auseinanderklaffen.

I. Situationen von Redakteuren in internen Krisen und Konfliktzeiten – Erfahrungsberichte aus der Praxis

Inwieweit die Praxis mit der auf dem Papier garantierten Pressefreiheit in Weißrussland, der Ukraine und Russland übereinstimmt, sollte anhand von Erfahrungsberichten aus erster Hand im ersten, von Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, moderierten Panel analysiert werden.

Wladimir Dzuba, Vertreter der Weißrussischen Vereinigung Unabhängiger Journalisten, drückte gleich zu Beginn des Panels sein tiefstes Bedauern darüber aus, dass nur ein geringer Prozentsatz der über 1000 Massenmedien in Weißrussland wirklich unabhängig von der Macht des Staatschefs sei. Die Situation in Weißrussland verschlechtere sich aufgrund des Druckes von Seiten des Staates auf die verbliebenen freien Medien, so Dzuba weiter.

Dieser Druck manifestiere sich in der Stigmatisierung einzelner Redakteure sowie in einer starken wirtschaftlichen Benachteiligung der freien Medien. So müsse die freie Presse bis zu achtmal höhere Mieten zahlen als die staatsgelenkte Konkurrenz. Zudem verhänge der Staat hohe Geldstrafen gegen die Redakteure aufgrund angeblicher Verleumdung von Politikern.

Die Maßnahmen des Staates erwiesen sich in grotesker Weise bisher als äußerst effizient; so existierten vor drei Jahren noch 40 freie Blätter in Weißrussland, während es heute derer nur noch etwa 15 seien. Der Druck der Regierung mündete in einen unterschwelligen Krieg gegen die Presse, der in der Entführung mehrerer Femsehreporter gegipfelt habe. Besorgniserregend sei ferner in besonderem Maße die absolute Ergebenheit der Gerichte aller Instanzen gegenüber der Regierung, so dass ein Rechtsschutz der Redakteure in Weißrussland de facto nicht existiere. Immerhin sei ein Mediengesetz in Planung.

Ein ebenfalls recht düsteres Bild zeichnete anschließend Prof. Dr. Valerij Ivanov, Vertreter der Akademie der ukrainischen Presse, von der Situation in seinem Heimatland.

So sei der hoffnungsvolle Schwung der Orangen Revolution nicht nur abgeebbt, sondern er habe sich bereits in eine rückläufige Tendenz, auch im Bereich der Pressefreiheit, verkehrt. Zwar existiere gegenwärtig keine staatliche Zensur in der Ukraine, dennoch – so Ivanov weiter – drängten gegenwärtig verstärkt negative Tendenzen an die Oberfläche der Medienlandschaft. Besonders enttäuscht und zugleich besorgt zeigte sich Ivanov darüber, dass sich die neue Macht unter Juschtschenko paradoxerweise partiell der gleichen Mechanismen bediene, welche schon unter der alten Macht, die sie zu ihrer Oppositionszeit noch so entschlossen bekämpfte, zu einer immanenten Unterdrückung der Pressefreiheit geführt hatten.

So habe die neue Regierung unter dem Vorwand der angeblich falschen Berichterstattung über Politiker ebenfalls Entlassungen von Journalisten veranlasst. Weit schlimmer sei jedoch der Umstand, dass seit der Unabhängigkeit der Ukraine mehr als neun Journalisten auf mysteriöse Weise ermordet worden seien. Zu trauriger Berühmtheit gelangte in diesem Zusammenhang die Ermordung von Georgij Gongadse im Jahre 2001. Die Umstände des Mordes seien bis heute nicht abschließend geklärt. Zwar habe man einen Beteiligten verhaftet, die eigentlichen Mörder seien aber weiterhin unauffindbar, führte Ivanov aus. Neben dem Internet bleibe in der Ukraine vor allem auch das Fernsehen nicht von staatlichen Kontrollbemühungen verschont. Denn es gebe nicht zuletzt deshalb in der Ukraine kein freies öffentliches Fernsehen, weil Juschtschenko die Schließung aller diesbezüglichen Projekte veranlasst habe, erläuterte Ivanov. Überdies zeige sich auf dem Gebiet der Gesetzgebung der Wille der neuen Regierung, die Pressefreiheit zu beschneiden. Prof. Ivanov verdeutlichte dies an den Beispielen eines Entwurfes für ein neues Wahlgesetz, nach dem politische Parteien ohne deren vorheriges Einverständnis in den Medien weder genannt noch ihr Parteiprogramm analysiert werden dürften, sowie an einem Passus im Zivilgesetzbuch der Ukraine, nach dem jede Nachricht von öffentlicher Stelle per se als wahr gilt und somit keiner weiteren Verifizierung bedarf. Besonders dramatisch seien diese breit , gefächelten Negativentwicklungen vor dem Hintergrund der anstehenden Parlamentswah-len im März 2006. „Die Situation ist teilweise schlechter als unter Kutschmd' und „das Volk ist frustriert, weil es glaubt, nichts verändern zu können“, fasste Ivanov abschließend die Situation und Stimmung in der Ukraine zusammen.

Nicht ganz so pessimistisch sei hingegen die Stimmung in Russland, auch wenn man noch weit von idealen Umständen entfernt sei. Denn auch in Russland gebe es keine Privatisierung der Medien, erklärte Prof. Michail Aleksandrovic Fedotov, Sekretär des russischen Journalistenverbandes. In den Jahren seit 2001 seien in Russland stetig freie TV-Stationen geschlossen worden. „Nun vereinigt der Kreml die gesamte Macht über das Femsehen auf sich. Er kontrolliert selbst nach außen hin unabhängige Sender“ konstatierte Fedotov. Lediglich auf regionaler Ebene gebe es seit 2005 Anstrengungen, freie TV-Stationen zu errichten. Finanzielle Unterstützung komme allerdings ausschließlich den staatlichen Medienstationen zu. Als positiver Indikator sei jedoch die Möglichkeit der finanziellen Beteiligung an den Medien durch ausgewählte ausländische Investoren, wie etwa durch Berteismann, den Springer Verlag oder RTL, zu bewerten, selbst wenn die Begrenzung der Auslandsbeteiligung bei 30% der Anteile liege und lediglich auf den Unterhaltungssektor beschränkt sei. Der Grund dafür sei, dass auch in Russland die Medien durch die Regierung für den Wahlkampf instrumentalisiert würden. Deutlich werde dies an der Sendezeitzuteilung, denn es seien für die Regierungspartei und ihre Kandidaten zu Zeiten des Wahlkampfs bis zu 80% der Sendezeit reserviert. Besorgniserregend sei ferner die Praxis der Regierung, die durch das Verfassungsgericht für unzulässig erklärten Mediengesetze einfach unter einer anderen Artikelnummer sinngemäß wieder zu beleben. Die russische Gesetzgebung gebe so dauerhaft vielfältige Möglichkeiten, Medienunternehmen zu schließen. Auf die Frage, inwieweit sich der Tschetschenienkonflikt auf die Pressefreiheit auswirke, entgegnete Fedotov, dass eine Kritik an Putin generell höchstens auf regionaler Ebene möglich sei, nicht aber durch die großen überregionalen Medien. Prof. Fedotov veranschaulichte dies an dem Beispiel der Vorzensur hinsichtlich Fragen an Putin bei Pressekonferenzen. So würden alle systemkritischen Fragen von vornherein aus dem Fragenkatalog gestrichen. Die Etablierung einer Selbstregulierung der Presse in Russland sei hingegen auf einem guten Weg. So seien erste Maßnahmen, laut Fedotov, bereits 1998 unter Jelzin eingeführt worden. Gegenwärtig sei eine Art Schiedsgericht in Planung, welches sich mit Klagen gegen die Presse beschäftigen soll. Dieses werde ein recht feingliedriges und kompliziertes Hybridmodell aus staatlicher und nichtstaatlicher Beteiligung mit mehren Kammern und Gremien sein, welche in der Regel unabhängig voneinander, bei schwierigen Fällen aber auch kumulativ entscheiden sollen. Außerdem sei ein Entwurf eines neuen Mediengesetzes in Planung, welches „zumindest auf dem Papier den Anschein hat, dem EU-Standard zu entsprechen“ erklärte Fedotov. „Russland ist auf einem guten Weg“ formulierte der Vortragende zusammenfassend teils optimistisch, auch wenn er einräumte, dass es noch ein langer Weg zu einer tatsächlich und allgegenwärtig existierenden Pressefreiheit in Russland sei.

In Anbetracht der genannten Umstände in den Ländern Ost- und Südosteuropas hob Dr. Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen, die Wichtigkeit hervor, nicht-staatliche Organisationen in ihrem Kampf für die Pressefreiheit zu unterstützen, sowie die Notwendigkeit des Monitorings von Verletzungen der Pressefreiheit. In jedem Fall sei eine internationale Zusammenarbeit notwendig, um eine dezentrale Vernetzung der verschiedenen Organisationen, insbesondere via Internet, zu ermöglichen. Vor allem die Gewaltenteilung und eine demokratisch legitimierte Regierung seien eine entscheidende Grundvoraussetzung für die Pressefreiheit, so Rediske abschließend. Die Situation sei insgesamt nicht zufriedenstellend.

Man werde die anstehenden Ereignisse in Weißrussland, Russland und insbesondere in der Ukraine im Hinblick auf die anstehenden Parlamentswahlen abwarten müssen, um zu erfahren, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich die Situation der Medien und der Pressefreiheit dort entwickeln werde, fasste Dr. Heike Dörrenbacher die wonnenen Erkenntnisse zusammen.

II. Selbstregulierung der Medien statt Staatsaufsicht

Der Stellenwert und mögliche Strategien zur Umsetzung einer Selbstregulierung der Presse anstelle von Staatsaufsicht waren das Thema des zweiten Panels unter der Leitung des Dekans der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg.

Die Notwendigkeit einer Selbstregulierung sei in den Niederlanden früh erkannt worden, führte Daphne Koene, Vertreterin des Journalistenrates aus den Niederlanden, in ihrem Beitrag aus. Daher existiere in den Niederlanden bereits seit 1960 ein Presserat.

Der niederländische Presserat, der sich insgesamt aus 26 Mitgliedern, je 13 Nichtjournalisten und 13 Journalisten, zusammensetzt, beschäftige sich mit etwa 100 Fällen von Auseinandersetzungen zwischen Medien und Öffentlichkeit pro Jahr. Dabei habe der Presserat zwar nicht die Kompetenz, Sanktionen gegen Medien zu verhängen. Es bestehe aber die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen, welche dann im Internet sowie im Professional Magazin for Journalists veröffentlicht und an die nationalen Nachrichtenagenturen weitergeleitet werden. Darüber hinaus, so Koene weiter, würden die betroffenen Medien aufgefordert, die Empfehlungen zeitnah zu veröffentlichen.

In einer ähnlich langen Tradition stünde der 1956 als eingetragener Verein gegründete deutsche Presserat, der es sich zur Aufgabe gemacht habe, für die seit 1949 im deutschen Grundgesetz verankerte Pressefreiheit einzutreten, berichtete dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Der deutsche Presserat, seiner Struktur nach ein Zusammenschluss der großen Verlegerverbände und Journalistengewerkschaften, beschäftige sich mit zirka 700 Beschwerden gegen die Medien pro Jahr. Aufgabe des Presserates sei dabei die Streitschlichtung durch den zehnköpfigen Beschwerdeausschuss, welcher in begründeten Fällen bei Verstößen gegen den 1973 erstmals schriftlich fixierten Pressekodex redaktionelle Hinweise, Missbilligungen und - bei schweren publizistischen Verstößen - öffentliche Rügen aussprechen könne. Eetztere müssten im Rahmen von Selbstverpflichtungserklärungen in dem gerügten Organ abgedruckt werden. Die Finanzierung erfolge dabei einerseits durch die Mitgliederverbände, zu 75% die Verlegerseite und zu 25% die Journalistenseite, und zum anderen seit 1976 durch einen jährlichen zweckgebundenen staatlichen Zuschuss für die Arbeit des Beschwerdeausschusses. Die Unabhängigkeit des Presserates sei jedoch in keiner Weise beeinträchtigt, betonte Tillmanns, da der Bundeszuschuss per Gesetz nicht mehr als 49 % der Gesamteinnahmen ausmachen dürfe.

Eines anderen Finanzierungsmodells bediene sich der erst seit 2003 voll arbeitsfähige belgisch-flämische Presserat, der sich seitdem jedoch schon mit über 100 Beschwerden beschäftigt habe. Dieser finanziere sich durch eine Stiftung, deren Stiftungskapital zu je 50 % von Medienhäusern und Journalisten gestellt sei, erläuterte Flip Voets, Vertreter des belgischen Presserates. Auch bei der Zusammensetzung geht der belgische Presserat einen etwas anderen Weg. Denn er setze er sich nicht nur aus je 6 Vertretern der Journalisten und Verlage zusammen, sondern auch aus 6 Vertretern außerhalb der Medienwelt als Repräsentanten der Öffentlichkeit, wie Rechtsanwälten oder Sozialarbeitern, die ihrerseits ihre Expertise mit einbringen würden.

Grundlegende Ähnlichkeiten offenbarten sich in den Kompetenzen, die den Kontrollorganen durch ihre Mitglieder zugebilligt werden. So berichteten sowohl Ognian Zlatev vom bulgarischen Presserat, Tillmanns vom deutschen Presserat und auch Voets vom belgischen Presserat, dass der jeweilige Presserat in seiner Funktion als Organ zur freiwilligen Selbstkontrolle bei Fehltritten der Medien keine verbindlichen Sanktionen verhängen könne. Statt-dessen sei den Presseräten die Möglichkeit eingeräumt worden, Empfehlungen, Hinweise, Missbilligungen, Rügen oder Ähnliches auszusprechen. Insgesamt zeigten sich die Vertreter der westeuropäischen Presseräte zufrieden mit der Arbeitsweise ihrer jeweiligen Selbstregulierungsmechanismen.

Nicht ganz so weit fortgeschritten sei dagegen der Prozess der Selbstregulierung in Bulgarien.

Denn auch wenn die Eintragung von Europas jüngstem Presserat am 25.08.2005 erfolgte, sei er noch nicht voll handlungs- und beschlußfähig, berichtete Ognian Zlatev, Vertreter des bulgarischen Presserats. Dennoch zeigte sich Zlatev optimistisch. Denn in Bulgarien sei seit der Absetzung der kommunistischen Regierung und der Etablierung einer freien unabhängigen Presse bereits im Dezember 1989 die Macht der Medien und das damit verbundene Bedürfnis nach einer Selbstregulierung erkannt worden. Nach sieben Anläufen sei dann im November 2004 ein Ethikkodex verabschiedet worden, auf dessen Grundlage der Presserat das Verhalten der Printmedien überprüfe. Die Beschwerden sollen von einer Beschwerdekommission, deren Mitglieder von der Generalversammlung gewählt würden, in völliger Unabhängigkeit vom Staat bearbeitet werden.

Diese positive Einschätzung der guten Entwicklung in Bulgarien teilte Oliver Money-Kyrle, Vertreter der Internationalen Föderation der Journalisten. Kyrie lobte ausdrücklich die gute Zusammenarbeit in Bulgarien bei der Schaffung des Presserates. Es sei jedoch nicht nur in Bulgarien noch viel Potential zur Verbesserung der Professionalität der Journalisten vorhanden. Die reine Existenz von Pressegesetzen reiche nicht aus, um eine real existierende Pressefreiheit zu gewährleisten. Insbesondere in Ost- und Südosteuropa müssten die Arbeitsbedingungen insgesamt noch verbessert werden.

Hilfestellung könne in diesem Bereich aber auch durch ausländische Medienfirmen geleistet werden, wenn es diesen gelänge, westliche Standards nach Ost- und Südosteuropa zu übertragen, ohne dabei zu dominant aufzutreten, resümierte Kyrie.

Die Erfahrungen in Westeuropa, aber auch bereits in Teilen Ost- und Südosteuropas hätten gezeigt, dass die Selbstregulierung der Presse die perfekte Alternative zur staatlichen Kontrolle sei, da sie insbesondere das Vertrauen in die journalistische Arbeit fördere, resümierte Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg in seinem Schi usswort den Konsens aller Referenten.

III. Selbstregulierung statt Staatsaufsicht - Ansätze und Beispiele in Ost- und Südosteuropa

Die Herausbildung von Konzepten und Ansätzen für eine Etablierung einer Selbstregulierung der Presse in den postkommunistischen Staaten Ost- und Südosteuropas, auch in Anlehnung an westeuropäische Vorbildmodelle, behandelte das dritte Panel unter der Leitung von Manfred Protze, dem Vorsitzenden der ersten Kammer des Beschwerdeausschusses des Deutschen Presserates.

In dem Bewusstsein, dass der Umsetzungsprozess bisher noch unvollendet ist, erbat Protze unter dem Motto „Wir haben zumindest erreicht, dass ...“ einen Bericht der Referenten über den Status und Fortschritt hinsichtlich der Etablierung einer Selbstregulierung.

Zu der Situation in Bosnien bezog Ljiljan Zurovac, Vertreterin des bosnischen Presserates, Stellung. Nach mehreren Jahren des Missbrauchs der sehr starken Medien im ehemaligen Jugoslawien sei es nach der Teilung Jugoslawiens in Bosnien 1999 gelungen, einen Presserat zu errichten. Vor 1999 sei die Medienlandschaft infolge der Teilung vom Chaos dominiert gewesen. Die bereits vor Errichtung des Presserats existierende Medienkontrollbehörde wachte lediglich über die 300 TV- Stationen, nicht aber die Printmedien.

Der Presserat habe sich in vier Jahren bereits mit 120 Beschwerden gegen die Medien beschäftigt. Seit der Gründung komme der Aufklärung der Menschen, dass sie fortan die Möglichkeit haben, Beschwerde gegen die Printmedien zu erheben, eine hohe Priorität zu, erklärte Zurovac.

Auch in der Ukraine seien erste Versuche einer Selbstregulierung unternommen worden, berichtete Taraz Kuzmov, Vertreter der ukrainischen journalistischen Ethikkommission. Derzeit laufe in der Ukraine eine Diskussion über die Errichtung von Ethikstandards. Vor nicht allzu langer Zeit seien die Medien einem enormen Druck durch die Regierung ausgesetzt gewesen, aus dem die Gefahr resultiere, dass die Medien zu einem Vehikel der Propaganda mutierten. Auslöser für die Gründung der Ethikkommission sei die Druckausübung seitens der Regierung gewesen, welche in der Ermordung eines Journalisten gipfelte und einen Weckruf unter den Journalisten zur Folge gehabt habe, erklärte Kuzmov. Aufgabe der Kommission sei jedoch nicht die Auseinandersetzung mit Beschwerden, sondern vielmehr die Ausarbeitung einer Art Ethikkodex für die Medien in der Ukraine. Zudem existiere bereits ein Presserat, welcher sich aus 22 Mitgliedern zusammensetze. Insgesamt gebe es gute Fortschritte hinsichtlich der Ethikkommission im speziellen sowie hinsichtlich eines Versuches der Kontrolle der Medienlandschaft im allgemeinen, auch wenn noch viel auf dem Weg zu einer vollständigen Selbstkontrolle der Medien nach westlichen Standards zu erledigen sei. Insbesondere gelte es zunächst, die besondere Herausforderung hinsichtlich der anstehenden Parlamentswahlen im nächsten Jahr zu bestehen, resümierte Kuzmov.

In der Russischen Föderation seien ebenfalls bereits erste Schritte zur Selbstkontrolle geleistet worden, berichtete Prof. Dr. Monachov, Mitglied des Expertenrates der Duma für Medienpolitik, auch wenn nach wie vor beispielsweise unbequeme Fragen gegenüber Putin aufgrund des vorgeschalteten Fragenfilterungsapparats nicht geäußert werden könnten. Seit Anfang des 20. Jahrhundert habe es bereits erste Versuche eines Einsatzes einer E-thikkommission in Russland gegeben. 1990 wurde dann das erste Gesetz zur Medienregulierung verabschiedet.

Ein Schiedsinformationsgericht als erstes Organ zur Regulierung sei bereits zur Zeit der ersten demokratischen Wahlen um 1993 errichtet worden und erfreute sich eines großen Vertrauens innerhalb der Bevölkerung und der Medienlandschaft. Dieses Organ stellte ein Hybridmodell aus Selbstregulierung und Staatsaufsicht dar, da es aus Wirtschaftsvertretern, Kremlgenerälen und Vertretern der Presse bestand, erläuterte Monachov.

Allerdings sei das Schiedsinformationsgericht bereits wieder liquidiert und aktuell durch die Jury des Journalistenverbandes ersetzt worden (im Jahr 2005). Die beiden Hauptkammern, einerseits die Medienkammer, bestehend aus 25 Journalisten, und andererseits die Publikumskammer, bestehend aus 15 Vertretern der Interessen der russischen Konsumenten, sollen noch in diesem Jahr mit Mehrheitsbeschluss von über 200 Organisationen gewählt werden, so Monachov. Ebenso positiv sei der Wille des Kremls, zusätzliche Vollmachten auf die Jury zu übertragen. Allerdings bleibe Russland seiner Tradition treu und werde ein duales System zur Kontrolle der Medien etablieren, da Putin bereits ein staatlich kontrolliertes Konkurrenzorgan geschaffen habe. Diese Dualität sei aber keinesfalls als negativer Aspekt zu betrachten, da die Vergangenheit (mit dem Schiedsinformationsgericht) gezeigt habe, dass Bevölkerung und Medienlandschaft Vertrauen in ein solches Mischsystem gefasst hätten und dieses Vertrauen bereits ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden Medienkontrolle sei, resümierte Prof. Dr. Monachov.

Weitaus fortgeschrittener sei die Selbstregulierung der Presse in Estland, eröffnete Tar-mu Tammerk, Vertreter des estnischen Presserates, dem Plenum mit den Worten: „Self-regulation works in Estonia – füll stopp.“ Die Freiheit von jedweder Staatszensur genieße Estland bereits seit dem Kollaps der Sowjetunion. Für die Etablierung einer effektiven Selbstregulierung habe der Presserat eine wichtige Rolle gespielt, indem er 1996 bereits einen Entwurf für eine eigene Ethikrichtlinie erlassen habe. Für das Erreichen einer idealen Medienkontrolle verfolgt Estland einen interessanten Denkansatz. So warnte Tammerk vor einer Überregulierung der Medien durch den Gesetzgeber, die zu keinen profitablen Ergebnissen gelangen könne. In Estland gebe es daher erst gar keinen Bedarf an einem spezifischen Presserecht, weil das Zivilrecht bereits genügend Regelungen diesbezüglich enthalte. Von immenser Wichtigkeit sei insbesondere eine weite Akzeptanz des Presserates in der Medienlandschaft, da eine effektive Selbstregulierung ohne sie nicht möglich sei, so Tammerk abschließend.

Insgesamt sei unbestreitbar ein Fortschritt auf dem Weg zu einer Selbstregulierung der Presse zu erkennen, auch wenn dieser in den verschiedenen Ländern unterschiedlich weit gediehen sei, vom Kampf um die Basis über die Entwicklung erster Konzepte bis hin zur Vollendung, meinte Manfred Protze in seiner Zusammenfassung des dritten Panels.

IV. Unabhängigkeit des Pressevertriebs als Garant der Pressefreiheit

Der Stellenwert des unabhängigen Pressevertriebs für die Pressefreiheit sowie verschiedene Möglichkeiten zu dessen Optimierung anhand der Situationen verschiedener Länder in Ost-, aber auch Westeuropa wurde auf dem vierten Panel unter der Leitung des Rechtsanwalts und ehemaligen Justiziars des Verlagshauses Grüner & Jahr, Dr. Roger Mann, diskutiert.

Die bedeutsame Rolle eines unabhängigen Pressevertriebs für die Pressefreiheit verdeutlichte Rechtsanwalt Klaus-Dieter Wülfrath, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Presse-Grosso, mit den Worten: „Was nutzen die besten Nachrichten, wenn Sie den Leser nicht erreichen“.

Eine besondere Rolle komme dabei insbesondere der Neutralität des Vertriebes zu, bemerkte Wülfrath. Auch Reinhard Feder, Geschäftsführer der Deutschen Pressevertrieb GmbH, bekräftigte das Erfordernis der Neutralität des Pressevertriebs, da ohne sie nicht gewährleistet werden könne, dass jedes Presserzeugnis ungeachtet seines politischen oder wirtschaftlichen Gewichts in den Vertrieb gelange und somit den Weg zu den Konsumenten finde. Die Neutralität des Pressevertriebs erfordere jedoch nicht zwingend ein vollständiges Heraushalten der Verlage, betonte Feder.

Wichtig sei allein die „Überall-Erreichbarkeit“ der Medienprodukte sowie die Preisbindung.

Die Frage, ob die Unabhängigkeit des Presse-Grosso Großverlage in der Ausweitung ihrer Marktanteile einschränke, verneinte Dr. Markus Beermann von der WAZ-Mediengruppe, da sich auch für Großverlage insbesondere vor dem Hintergrund daraus Vorteile ergäben, dass das Grosso-System auch im Ausland funktioniere. Außerdem gebe es vor allem in Deutschland alternative Vertriebswege wie etwa durch Abonnements. Ebenso unproblematisch gestalte sich die Zusammenarbeit mit den ausländischen Vertriebsunternehmen, wobei die WAZ-Gruppe immer nur dann interveniere, wenn der Vertrieb nicht optimal liefe, erklärte Beermann. Dass einige Länder in Europa noch weit von einem unabhängigen Pressevertrieb entfernt sind, verdeutlichte Christian Moeller, Programmkoor-dinator der OSZE, an den Beispielen Aserbeidschans, Tadschikistans, Kasachstans und Weißrusslands. So sei in Aserbeidschan für vier Zeitungen eine wichtige Vertriebssäule, der Verkauf in U-Bahnhöfen, willkürlich verboten worden. In Weißrussland werde eine Zeitung nicht mehr durch die staatlichen Vertriebswege mit der fadenscheinigen Begründung vertrieben, es fehle an einem entsprechenden Bedarf. Selbst Internetzeitschriften blieben von staatlicher Einflussnahme nicht verschont, wie das Beispiel in Kasachstan aufzeige, so Moeller weiter. Dort habe die Regierung ein Gesetz entworfen, mit dem sie kritischen und unabhängigen Online-Magazinen den Domainnamen entziehen könnte.

Etwas besser gestalte sich die Situation hingegen in Rumänien, auch wenn der Pressevertrieb noch nicht völlig von staatlicher Einflußnahme losgelöst sei, berichtete Razvan Martin, Programmkoordinator der Agentur für Medienbeobachtung in Bukarest. Es werde zwar der Vertrieb von einer großen privaten Firma gesteuert. Allerdings könne der Staat zum einen bestimmen, welches Medium vertrieben werden darf. Außerdem versuche er ständig, auf die Vertriebsfirma durch Inaussichtstellung von steuerlichen Vorteilen Ein-fluss zu nehmen. Vor allem fehle es in einigen Gebieten an Wettbewerb. Problematisch sei die Lage insbesondere beim TV-Kabelnetzwerk, das von nur zwei Anbietern dominiert werde. Auf regionaler Ebene stelle sich auch das Problem der so genannten „Berlusconi-zation“, da dort lokale Politgrößen neben der gesamten lokalen Presse auch den Vertriebsweg beherrschen.

Allgemeines Zugangshindernis sei zusätzlich die schlechte Infrastruktur in Rumänien, die nur aus wenigen Autobahnen bestehe. Insgesamt sei Rumänien um Galaxien von westlichen Vertriebsstandards, wie etwa in Deutschland, entfernt, resümierte Martin die Situation in Rumänien. Dass das Vertriebssystem aber auch in Westeuropa keinesfalls fehlerlos sei, verdeutlichte Klaus-Dieter Wülfrath, indem er auf Probleme in England, Frankreich und Italien hinwies. So müsse sich dort mit dem Problem ständig abnehmender Verkaufsstellen auseinandergesetzt werden. Die Gründe für dieses Phänomen seien dabei vielseitig. Während in England der Einzelhändler die Transportkosten für die Presseerzeugnisse zu tragen habe, was zu einer Abnahme der Verkaufstellen proportional zur Entfernung von Ballungszentren führe, leide Italien an einer Überregulierung des Vertriebs. In Frankreich stelle sich das Problem der zu starken Einflussnahme in das genossenschaftlich organisierte Vertriebssystem. Auch wenn aktuell in Deutschland das Problem des Vertriebs von tagesaktueller Presse in Discountern die Medienlandschaft beschäftige, weil dies die eigentlichen Verkaufstellen gefährde, sei das deutsche Vertriebssystem dennoch im europäischen Vergleich als vorbildlich anzusehen, schloss Wülfrath. Das deutsche System sei allerdings aufgrund teilweise völlig differierender Ideologien und Grundsätze nur bedingt in das Ausland übertragbar, merkte Feder an.

Ungeteilter Konsens der Beteiligten am Ende des vierten Panels bestand dahingehend, dass es weniger auf die Art des Vertriebssystems ankomme, sondern auf die Effizienz.

V. Zusammenfassung

Die 4. Frankfurter Medienrechtstage offenbarten einmal mehr, dass es in einigen postkommunistischen Staaten in Ost- und Südosteuropa noch erhebliche Hindernisse auf dem Weg zur Entwicklung einer real existierenden Pressefreiheit zu überwinden gilt.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Entwicklung zu einer real existierenden Pressefreiheit in Ost- und Südosteuropa nicht aufzuhalten ist. Auch wenn deutlich wurde, dass innerhalb der postkommunistischen Staaten kein einheitlicher Entwicklungsstandard vorherrscht.

Während in einigen Staaten wie Estland der westeuropäische Standard bereits nahezu erreicht ist, stehen andere Staaten wie Bulgarien erst am – wenn auch viel versprechenden – Anfang. Wieder andere, wie die Ukraine und teilweise Weißrußland, weisen leider rückläufige Tendenzen auf. Gerade in letzteren Staaten bleibt es abzuwarten, wie sich die Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund anstehender Parlamentswahlen in der Ukraine, in Zukunft vollziehen wird.

Die Diskussion möglicher Strategien zur Stabilisierung und Durchsetzung der Pressefreiheit in Ost-/Südosteuropa wird daher auf den 5. Frankfurter Medienrechtstagen im November 2006 fortgesetzt werden müssen.

Robin Borrmann